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Prosa

 

 Mein erstes Mal

“Achtung auf Gleis 11 - Bitte einsteigen! Ihr Zug fährt jetzt ab.” schallte es aus den Lautsprechern.
Wagen 8 Platz 95 - gerade mußte es schon sein, das Gleichgewicht liegt im Wagen und nicht in den Polstern der Sitze.
Es war noch fast leer, zumindest in groben ‘Zügen’, und klar…die 95 schon besetzt.
So, ab jetzt war ich gefragt…ich hatte schließlich die freie Auswahl.
Entschied mich entgegen meiner Natur für den Rückwärtsgang auf der 96 - direkt gegenüber des Diebes.
Männlich, dunkelblond & Anfang 30 - meine ersten Worte, hätte man mich gefragt. Hat man aber nicht.
Mir wurde es irgendwie unheimlich.
Mein Heft, mein Bleistift - die Zigaretten und es konnte losgehen. Richtung Heimat - meine Gedanken fuhren in die andere Richtung

Was hätte ich gegeben für einen einzigen Kaffee! Kein Schweizer Mineralwasser mehr, nichts - nur beißender Zigarettenqualm.
Mein Platzdieb hielt eine Colaflasche in seinen Armen wie eine Mutter ihren Säugling, war vertieft in sein Buch & hatte viel zu lange Beine.
Versuchte immer & immer wieder meine Gedanken einzufangen, um sie aufschreiben zu können. Außer Atem vom vielen Hinterherhetzen legte ich eine kurze künstlerische Freiheitspause ein.
Lehnte mich zurück und betrachte mir mein Gegenüber genauer.
Das Zeichen des Wassermannes auf den rechten Oberarm tätowiert, kleine Grübchen versuchten sich im Bart zu verstecken. - ein Lächeln.
Ein Lächeln!?
War wohl was witziges.
Mit einem Male erschien er mir so friedlich, so sanft - von da an wußte ich, es war ein interessanter Mann.
Nach einiger Zeit mußte ich mir selber auf die Finger hauen, um nicht immer wieder in Versuchung zu kommen ihn anzuschauen. Starrte ich ihn etwa an!? Ok, nicht viel - vielleicht ein wenig. Jedesmal wenn Zeit war die verglühte Asche meiner Zigarette zu entsorgen.
“Man verqualmten die heute schnell” dachte ich, lächelte in das mich spiegelnde Fenster, sah seine Spiegelung & da war es schon wieder. Dieses Lächeln. So innig, so ehrlich - voller Gefühl. “Ab jetzt”, dachte ich “wird er von oben bis unten gemustert”.
Natürlich blieb dies nicht unbemerkt - auch mein heimliches Niesen nicht. “Gesundheit!” hörte ich mit leiser, weicher & zärtlicher Stimme, es fühlte sich fast schon an, als würde er mir gefühlvoll mit einem Taschentuch die Nase putzen.
Ein schwaches “Danke” brachte ich noch hervor, griff nach meinen Zigaretten & wurde zum Kettenraucher. “Nein Jacqueline” hörte ich eine Stimme, “das kann so nicht weitergehen!”. War wohl ich, die diese Worte sprach.
Also versuchte ich meinen Gedanken, meilenweit entfernt waren sie ja mittlerweile, hinterher zu hechten, um Euch neuen, vielleicht auch lesbaren Stoff zu verkaufen.
Meine Erinnerungen zeichneten ein dauerhaftes Grinsen in mein Gesicht.
“Aua!” Jetzt erst bemerkte ich, daß seine Blicke über mich wanderten, mich regelrecht abtasteten. War das die Rache? Dachte er sich etwa: “Wie Du mir so ich Dir!” ? Wenn, dann hätte ich das denken können, nicht er. Oder sollte ich ihm seinen Platz stehlen, den er noch nicht einmal hatte!?

Nein, ich konnte es nicht lange lassen. Schaute kurz auf, tat so als überlege ich - suche vielleicht nach den passenden Worten.
Griente frech vor mich hin & schrieb, was ich sah.


Der Bleistift wanderte zwischen meinen Fingern hin & her. Ich schaute ihn an, machte einen Schnappschuß und schrieb.
“Zeit für den nächsten Film” dachte ich, hob meinen Kopf und konnte kaum glauben was ich sah.
Eine - seine Träne.
Eine Träne aus seinen Augen, und ich wußte nicht, was diese Augen mir erzählen würden, könnte ich sie auch nur ein einziges Mal sehen.
Einen solch ergreifenden Moment habe ich auf noch keiner Reise erleben dürfen.
Er laß jedes Wort mit seinem Herzen. Es schien, als würde er jedes der Worte selbst fühlen, selbst erleben.
Wußte er, daß er mich berührte?

Ich schrieb mein, eigentlich ist es ja sein Gedicht einmal für mich & einmal für ihn.
Nur irgendwie fehlte mir der Mut es ihm zu geben.
Wann würde er aussteigen? Nein, er würde nicht bis Köln fahren, das konnte nicht sein.
Immerhin waren wir erst in Dortmund & standen uns die Räder in die Gleise.
Ein großer Bienenschwarm - versammelte auf den Bahnsteigen. Schwarz-Gelb & laut grölend.
“Man“ dachte ich, “was der Alkohol alles aus den Menschen macht.” Mittendrin ein paar Grün-Weiße, nein, die heißen doch heute Blau-Weiß, aber das wäre ja Schalke. Die Bremer meinte ich.
2 Mal hatten sie wohl getroffen, wie ich erfuhr.
Hielt den Moment fest & wartete auf die Weiterfahrt.

Beobachtete die Massen und meinen Platzdieb. “Jetzt schnell” sagte ich mir, er schaut mich doch gerade an.
Und da sah ich sie, seine Augen.
Ein tiefes Blau strahlte mir liebevoll entgegen. “Schön” sagte ich leise zu mir selbst. Hatte er es etwa gehört? Hoffentlich nicht, oder doch. Ich wußte nicht, was ich denken sollte.
Und schon war er wieder weg, dieser Moment.
Schade, daß die schönen Dinge des Lebens immer ein wenig zu kurz kommen.

Er war wieder vertieft in sein Buch, ich in meine Gedanken an Euch.
Konnte die Fahrt ohne weitere Geschehnisse genießen und ab & an auch ein Lächeln von ihm.

Letzter Halt vor Köln: Er blieb.
Ich schenkte ihm ein - mein Lächeln, und ein heimliches “Danke”.
Mensch war ich froh, daß ich noch ein wenig Zeit hatte, um mir Mut zu machen. Ich hatte es mir schließlich fest vorgenommen: “Diesmal kneifst Du nicht wieder!” sagte ich immer & immer wieder. Ich wußte, ich würde mich hinterher zu Tode ärgern.

Köln Hauptbahnhof rückte immer näher. Fahrgäste standen auf und auch er legte eine Postkarte - sein Lesezeichen - zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und verpackte alles in seiner Tasche.
Der Zug hielt an, noch war Zeit. Wenige Minuten waren es nur noch, bis alle aussteigen würden.
Und ich war wieder mal ein Feigling erster Klasse. “Nun ja, was soll’s - hätte er denn was davon?”
Konnte ich mir nicht vorstellen. Würde es ihm überhaupt gefallen? All diese Fragen schossen mir durch den Kopf und nahmen mir meine kleine Portion Mut, die ich schon hatte.
Ich gab mich damit zufrieden und bewunderte den Kölner Dom bei Nacht. Ein wundervoller Anblick.

Noch ein paar Meter waren es, bis sich die Türen öffneten und alle auf den Bahnsteig eilten.
“In Kürze erreichen wir Köln Hauptbahnhof. Dieser Zug endet hier. Bitte alle aussteigen!” hörte man den Zugführer sagen. Langsam schoben sich die Massen voran. Einer nach dem Anderen, ohne Ruhe.
Jeder wollte schnell weg hier. Nur ich nicht. Ich wollte nicht aussteigen, denn noch immer hielt ich diesen Zettel in meiner Hand. Ich konnte ihn nicht einfach so gehen lassen.
Doch noch bevor ich fertig war, darüber nachzudenken fand ich mich auf dem Bahnsteig wieder und er war weg.
Klar, das konnte ja auch nur mir passieren.
Drehte mich noch einmal um, in der Hoffnung ihn vielleicht doch noch zu finden. Ja die Hoffnung, die stirbt immer zuletzt - sagt man doch so. Nirgends konnt ich ihn entdecken, also machte ich mich auf zu Gleis 9. Wollte schließlich auch irgendwann zu Hause ankommen. “Wieder einmal Pech gehabt, Jacqueline!” Feigheit wird eben bestraft. Und ich machte mich schnellen Schrittes auf & davon.

“Endlich” Gleis 9, ich konnte mich ein wenig erholen. Etwas die Füße in den Bauch stehen und mein Erlebnis verarbeiten. Die Tasche sauschwer - “Mist, da ist doch gar nicht so viel drin. Hatte Marc wohl doch recht” dachte ich.
Ich hielt Ausschau nach der Raucherecke, mußte meinen Puls erstmal normalisieren, bevor mich das nächste heimsucht.
Und glaubt mir, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie lang so ein Bahnsteig sein kann.
Stellte das blaue, schwere Gerät von Reisetasche ab und brannte mir eine an. “Wann wohl mein nächster Zug fahren wird?” Den einen hatte ich ja verpaßt.
Ich hatte keinen Plan. Zum Glück hatten die einen ausgehangen.
“Toll, 1 Stunde warten, na das kann heiter werden!” dachte ich so, drehte mich um und da stand er, mein Platzdieb.
Habe dann all meine Nerven wieder eingesammelt, welche ich in diesem Moment verloren hatte - ging zu meiner Tasche und dachte, das kann nur Schicksal sein.
Also…den Zettel aus der Manteltasche gekramt, mir allen Mut zusammengefaßt, Luzi ihren auch dabei und auf ging es.
Hätte noch gefehlt, wenn er nun weg gewesen wäre. Aber nein er stand noch da, rauchte genüßlich seine Zigarette und strahlte mich an.
Ich hätte nur zu gerne gewußt, was er in diesem Moment dachte. Tun wir Frauen das nicht immer so!?
Wollen wir nicht immer wissen, was ein Mann genau in diesem Moment denkt? Wahrscheinlich schon.
Also erfreute ich mich einfach an seinem Lächeln, denn diesmal galt es nicht dem Buch, auch nicht den Schwarz - Gelben - nein, diesmal galt es mir allein.

Ich bat ihn darum dieses Gedicht anzunehmen, und erzählte mit kurzen, leisen Worten, wie sehr er mich berührt hat und daß dies der Grund gewesen sei, das zu schreiben.

1 Minute später ärgerte ich mich. Ich ärgerte mich darüber, daß ich ihn hab mit meinem Zettel allein stehen lassen. Ja was sollte ich denn machen!? Warten, daß er ihn auseinanderfaltet und liest?
Nein, wußte ja immer noch nicht, ob ihn so etwas barhaupt interessieren würde. Aber das war mir egal. Sollte er ihn in den Papierkorb geworfen haben, dachte ich, so hab ich es nicht gesehen, wußte es nicht & würde es niemals erfahren.
Packte meine schwere Tasche, ging Richtung Promenade und drehte mich nicht mehr um. Nein, so etwas tut man doch nicht. Ich hätte es aber so gern getan. Nur noch ein kurzer, letzter Blick, das hätte mir schon genügt.

Ich wollte endlich meinen Kaffee, also ging ich tapfer weiter. Leider kam ich nur bis zur Treppe, als ich hörte wie für Gleis 8 der Zug ausgerufen wurde. Abschnitt A - C hieß es da. Und was machte er dann in Abschnitt E?
Also Tasche wieder runter auf den glänzenden Boden, fragte mich noch woher die bahn das ganze Geld nahm, um Deutschlandweit so luxuriös zu wirken, jedoch zu wenig Personal haben. Aber ehrlich gesagt war es mir in diesem Moment egal, ich hoffe Euch jetzt auch.

Angelehnt an den Granitplatten stand ich da und wartete. Was erwartete ich eigentlich!? Daß er mir um den Hals fallen würde? Nein! Daß er einfach so an mir vorüberging? Das hoffte ich schon mal gar nicht.
Ich wußte nicht, warum ich da stand und wartete. Vielleicht war es auch nur dieses Lächeln, was ich noch einmal sehen wollte. Ich wußte es nicht und hatte auch keine Zeit mehr um darüber nachzudenken, denn da kam er.
Er schaute mich mit seinen blauen Augen an. Intensiv, so wie es selten ein Mensch tat. Er pflanzte mir diese wundervolle Erinnerung mit seinem Lächeln, einer - seiner Träne direkt ins Herz.
Er schaute mir so tief in die Augen, daß alles andere um mich herum verschwamm. Wieder diese Weiche und zärtliche Stimme.
“Danke!”
Es war ein Danke, welches ich noch heute höre. Auch in Jahren werde ich es noch hören, so leise, so sanft jedoch voller Gefühl.
Stillschweigend lächelte ich ihn an, bedankte mich bei ihm mit einem zärtlichen Blick und wußte, daß er verstanden hatte.
Schaute dem Zug noch lange hinterher, nahm meine Tasche und durfte endlich meinen Kaffee genießen.

 

 

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